Herausbildung des Schützenwesens im westfälischen Raum

Da es nicht die Aufgabe dieser Chronik sein kann, Entstehung und Herkunft des Schützenwesens eingehender darzustellen, möchte ich an dieser Stelle auf drei Untersuchungen hinweisen, die einen guten Überblick über die Ausbildung und Entwicklung des Schützengedankens und der Schützengebräuche im westfälischen Raum geben. Es sind dies die Veröffentlichungen von PRINZ/BROCKPÄHLER/PIEPER, REINTGES und für das kurkölnische Sauerland SAUERMANN/SCHEPPER/KIRCHNER. Um jedoch darzulegen, auf welche Leitgedanken und Vorbilder die Hirschberger Schützenbrüder im 17. Jahrhundert zurückgreifen konnten, sollen hier dennoch einige wenige Sätze zur Entwicklung des westfälischen Schützenwesens angeführt werden.

Das Schützenwesen entwickelte sich Ende des 13. bzw. Anfang des 14. Jahrhunderts in den bereits stark verstädterten Gebieten Flanderns und Brabants.
Im westfälischen Raum dürfte die Erwähnung der Dortmunder Armbrustschützen für das Jahr 1378 "nach wie vor der wohl früheste Beleg für die Existenz einer Schützengesellschaft" sein. Dies ist die Zeit, in der der stark gepanzerte und im Nahkampf tätige Ritter sich im militärischen Bereich als zunehmend unbrauchbar zu erweisen begann, und man mehr und mehr zur Verwendung von Schußwaffen, etwa Bogen und Armbrust, später dann Büchse und Gewehr überging. Es ist zugleich die Zeit, in der die Städte nach und nach ein politisches und kulturelles Eigenleben zu führen begannen, und in der die Zünfte innerhalb der Städte die politische Mit- oder Alleinverantwortung erwarben. Diese neuen Kräfte gingen dazu über, "regelmäßige Pflichtübungen" mit den modernen Schußwaffen zu veranstalten, um damit zugleich "den ritterlichen Turnieren ein eigenes Kampfspiel, den Schießwettkampf" gegenüberzustellen.

Dabei schoß man zunächst auf eine aufgehängte Scheibe mit 4 konzentrischen Kreisen, wobei die Mitte ,Kranz' und der äußerste Kreis ,Sau' genannt wurde. Der beste Schütze erhielt einen Kranz, der schlechteste überhaupt (oder beim Schießen auf den äußersten Kreis) bekam ein Ferkel (Sprichwort: Er hat noch mal Schwein gehabt). Weitere Gewinne für die besseren Schützen waren Fahnen, die in einem festlichen Umzug herumgetragen wurden
Zum Schluß des Wettschießens fand eine Mahlzeit statt, bei der Bier und Wein, aber auch Fleisch und Brot verzehrt wurden. Zum Teil wurde bereits auf einen Vogel geschossen, dem Sieger wurde dabei ein der Gesellschaft gehörendes kostbares Kleinod umgehangen, in dem wir mit einiger Sicherheit den Vorläufer der heutigen Schützenkette vermuten dürfen.
Zu diesen Veranstaltungen wurden die Schützen mit Glockenschlag gerufen, worauf sie dann gerüstet und in voller Montur an einem bestimmten Platz erscheinen mußten.


Und das bringt uns wieder an den Ursprung des Schützenwesens zurück, die Notwendigkeit, die eigene Stadt militärisch zu verteidigen. Diese Verteidigung lag in den Händen aller Bürger, die Schützen bildeten jedoch eine Sondereinheit, die sich durch "aufwendigere Bewaffnung", also etwa Büchsen gegenüber Spießen, und durch "regelmäßige Übung an der Waffe" auszeichnete. Sie stellten also wohl ursprünglich "eine kleine geschulte Eliteeinheit der Bürgerwehr dar, die sich aus dem wohlhabenderen Stadtbürgertum rekrutierte".


Weil aber, wie bereits gesagt, alle Bürger zum Waffendienste zum Schutze der Stadt verpflichtet waren, ist "die Ableitung des Begriffes ,Schütze' von ,Schützen, Verteidigen', wie es gern heute in den offiziellen Verlautbarungen der Schützenorganisationen heißt, nicht zu halten. Wahrscheinlich ist vielmehr, daß die Art der Bewaffnung und das Schießen zur Bildung dieses Begriffes geführt haben".


Neben dieser militärischen übten die Schützenvereinigungen aber noch eine zweite Funktion aus, in der sie nicht mehr als Gesellschaften, sondern als Bruderschaften auftraten, die sich jeweils einem kirchlichen Schutzpatron unterstellt hatten. In dieser Funktion sorgten sie für ein ehrwürdiges, christliches Begräbnis ihrer Verstorbenen und die erforderlichen Toten- und Seelmessen, zu denen alle Mitglieder im Schützenaufzug gerüstet und in guter Ordnung zu erscheinen hatten. Das gleiche gilt für die Teilnahme an den Prozessionen, bei denen man an bestimmten Orten oder bestimmten Stellen im Zeremoniell Salut schoß.
Wir müssen also beim Schützenwesen davon ausgehen, daß "wir es mit zwei Entwicklungssträngen zu tun haben, die örtlich und zeitlich recht unterschiedlich miteinander verschmolzen wurden: den städtischen Gesellschaften als besonderen Verteidigungsgemeinschaften und den religiösen Bruderschaften als Gebets- und Beerdigungsgemeinschaften".

Woran können wir nun das Bestehen einer Schützenbruderschaft mit letzter Sicherheit festmachen?
Sicherster Beweis für das Vorhandensein einer Schützengesellschaft an einem Ort ist die Existenz der Statuten, die sie sich gegeben hat, und in denen es meist um folgende Dinge geht:
Eintritt in die Gesellschaft (bzw. Eintrittsgeld), Verbot der Streitigkeiten untereinander, Bestrafung derjenigen Mitglieder, die dem Glockenschlag nicht Folge leisten oder nicht ordnungsgemäß erscheinen, sowie der Anteil des einzelnen an den Seelmessen und an dem Wachs für das Licht der Bruderschaft in der Kirche.
Es handelt sich also vorwiegend um finanzielle Dinge, die abgehandelt werden, und das ist auch der Grund, der es gerechtfertigt erscheinen ließ, "die Vereinbarung schriftlich zu fixieren. Abmachungen wurden damals zumeist mündlich getroffen. Daher erfolgten schriftliche Verträge nur in Ausnahmefällen, da sie zu arbeitsaufwendig und zu kostspielig waren".

"Im allgemeinen sind die Statuten die zuverlässigsten Zeugnisse für das Bestehen einer Gesellschaft. Wenn auch ein Statut in damaliger Zeit durchaus nicht ihr erstes Lebenszeichen zu sein braucht, so daß wir ihr Entstehen ruhig um einige Jahre oder Jahrzehnte über die Abfassungszeit der Statuten hinaus vordatieren dürfen, und wenn auch nicht gesagt ist, daß gerade die Gesellschaft, deren Schriftstücke sich zufällig durch glückliche Umstände als älteste erhalten haben, sich als älteste Gesellschaft überhaupt, oder einer Gegend ausweist, so darf man doch annehmen, daß die Aufstellung von Statuten durchaus zum Alter und zum Ausbreiten der Gesellschaften parallel verläuft. Die meisten Vereine sind erst zu einer schriftlichen Fixierung übergegangen, nachdem sie schon eine Reihe von Jahren bestanden".

Dieses Zitat ist hier deshalb so ausführlich wiedergegeben, weil wir durchaus annehmen können, daß Vorläufer der Hirschberger Schützenbruderschaft ebenfalls bereits einige Jahrzehnte vor dem Jahre 1665 bestanden haben, in dem der Kurfürst Maximilian Heinrich von Köln auf Antrag von Bürgermeister, Rat und Gemeinde zu Hirschberg die Regeln und Statuten des am Dreifaltigkeitssonntag 1665 aufgerichteten Amtes der löblichen Schützen und Handwerker bestätigte (27.11.1665).